Knapp drei Jahre sind nun vergangen. Das Fazit, dass wir damals gescheitert sind, ist immer noch richtig. Nun werde ich wieder an unsere Aktionen gegen Spekulation mit Nahrungsmitteln erinnert: Das sogenannte „Schweinehochhaus“ in Maasdorf (Sachsen-Anhalt) ist ins Gerede gekommen.
Ich habe die Petition des Deutschen Tierschutzbüros e.V. mit meiner Unterschrift unterstützt, keine Frage. Die Zustände in dem Schweinegefängnis sind katastrophal. So etwas darf es in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht geben. Verfolge ich jedoch die Diskussionen zu Petition, dann wird mir Angst und Bange: Da kocht teilweise ein Mob hoch.
Als wir vor knapp fünf Jahren mit Occupy eine Bewegung unterstützen, die Anlass zur Hoffnung gab (naja, wenigstens eine kleine Hoffnung für eine kurze Zeit), da ging es vergleichsweise harmlos und gesittet zu. Natürlich gab es unter den Occupiern auch Rabauken, aber die waren entweder harmlos oder zugekifft.
Was ich dagegen heute an Hasskommentaren und Gewaltpotential in Sachen Schweinehochhaus lesen muss, macht mir Angst — und ich sehe die Occupy-Zeiten in einem etwas milderen Licht. Die meisten schrägeren Occupy-Mitstreiter waren trotzdem auf ihre Art — irgendwie nett.
Was sich in der heutigen, eher „national“ ausgerichteten Protestbewegung tummelt, präsentiert sich anders. Selbst beim Thema Tierschutz artikulieren sich Menschen, die eine offene, meist unreflektierte Feindschaft gegen Staat, Regierung, PolitikerInnen und Behörden an den Tag legen. Abwägungen werden nicht zugelassen.
Da wächst ein Mob. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass selbst beim Tierschutz Menschen auftauchen, die einer Gesinnung à la AfD Ausdruck verleihen. Es ist eine Melange aus radikalen Tierschützern (die teils durchaus Sympathie in mir wecken können) und Veganern — den Pfeffer oben drauf liefern vermutlich Wutbürger.
Man selbst ist dabei natürlich lediglich Opfer. Schuld sind die anderen — und vor allem der „Verbrecherstaat“. Sich gegen diese Extremisten zu wenden, führt zu den erwarteten Ergebnissen: Diffamierung und Beleidigung sind nicht ungewöhnlich — selbst wenn ich darauf hinweise, die Petition zu unterstützen. Insofern ist es doch ein wenig wie bei Occupy.
Ich habe in einem Kommentar auf der Petitionsseite einen (flachen) Bogen gespannt vom Schweinehochhaus zur Lebensmittelspekulation und meine, dass das hier her passt:
Andrea H. schrieb:
„Mir ist ohnehin schleierhaft, wie derlei Zustände legal sein können. Aber Dank nicht ermüdender Lobbyarbeit der Fleischindustrie schauen die Politiker wie immer weg. Chapeau!“
Meine Antwort lautete:
Nun, wir haben es dazu kommen lassen, Andrea. Und ich meine tatsächlich „wir“.
Der kritiklose Verzehr von billigem Fleisch, die sogenannte „Deregulierung der Märkte“, Wohlstand in unserem Land aufgrund massiver Exporte — all das haben wir jahrzehntelang für gut befunden, denn es hat uns vermeintlich (!) genutzt.
Dabei haben wir auf Kosten von Umwelt und Tieren (und wohl auch unserer Gesundheit) gelebt, dem Kapitalismus und dem „Markt“ gehuldigt sowie auf Teufel komm raus produziert, um andere mit unseren Erzeugnissen zu beglücken.
Schaue ich mir die Mitteilungen aus der Schweinebranche an (einen Auszug der Positionen findet man auf schweine.net, weit übler liest es sich im internen Mitteilungsblatt), dann ist der aktuelle Exportboom von Schweinefleisch nach China ein Segen für die Branche. Im Vordergrund steht dabei stets der „Landwirt“. Sein Wohl und Wehe ist wichtig, weniger das des Tiers. Die Angst geht bei den Produzenten um, weil Betriebe schliessen könnten. Ich meine: Sollen Sie schliessen! Es wäre ein Segen.
Unsere Nahrungsmittel werden von einer Industrie produziert, zum Nutzen der Industrie und der Shareholder. Es wird auf Nahrungsmittelpreise an den Börsen gewettet. Die Geldwelt reibt sich die Hände. Umsatz und Gewinn stehen im Vordergrund. Umwelt, Tiere und VerbraucherInnen sind nebensächlich.
Das alles haben wir ermöglicht, weil wir billiges Essen und der Privatwirtschaft keine Hindernisse in den Weg stellen wollten. Die Folgen der Liberalisierung der Märkte sehen wir heute: Schweinefleisch wird in einem Hochhaus produziert — und möglicherweise sogar legal.
Tja, und nun klagen wir über den bösen Staat, der das alles zulässt? Was wollen wir eigentlich: Diesen Staat in seine Grenzen weisen (also weniger Staat) oder ein stärkeres staatliches Eingreifen (also mehr Staat)?
Vergessen wir bei allem nicht, dass die Liberalisierung in den achtziger Jahren begann — und diese Parteien und Politiker immer wieder gewählt wurden. Von uns!
-Frank Jermann
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