Schweine!

von | 8. September 2016

Knapp drei Jah­re sind nun ver­gan­gen.  Das Fazit, dass wir damals geschei­tert sind, ist immer noch rich­tig. Nun wer­de ich wie­der an unse­re Aktio­nen gegen Spe­ku­la­ti­on mit Nah­rungs­mit­teln erin­nert:  Das soge­nann­te „Schwei­ne­hoch­haus“ in Maas­dorf (Sach­sen-Anhalt) ist ins Gere­de gekommen.

Ich habe die Peti­ti­on des Deut­schen Tier­schutz­bü­ros e.V. mit mei­ner Unter­schrift unter­stützt, kei­ne Fra­ge.  Die Zustän­de in dem Schwei­nege­fäng­nis sind kata­stro­phal.  So etwas darf es in einer auf­ge­klär­ten Gesell­schaft nicht geben.  Ver­fol­ge ich jedoch die Dis­kus­sio­nen zu Peti­ti­on, dann wird mir Angst und Ban­ge:  Da kocht teil­wei­se ein Mob hoch.

Als wir vor knapp fünf Jah­ren mit Occu­py eine Bewe­gung unter­stüt­zen, die Anlass zur Hoff­nung gab (naja, wenigs­tens eine klei­ne Hoff­nung für eine kur­ze Zeit), da ging es ver­gleichs­wei­se harm­los und gesit­tet zu.  Natür­lich gab es unter den Occu­p­i­ern auch Rabau­ken, aber die waren ent­we­der harm­los oder zugekifft.

Was ich dage­gen heu­te an Hass­kom­men­ta­ren und Gewalt­po­ten­ti­al in Sachen Schwei­ne­hoch­haus lesen muss, macht mir Angst — und ich sehe die Occu­py-Zei­ten in einem etwas mil­de­ren Licht.  Die meis­ten schrä­ge­ren Occu­py-Mit­strei­ter waren trotz­dem auf ihre Art — irgend­wie nett.

Was sich in der heu­ti­gen, eher „natio­nal“ aus­ge­rich­te­ten Pro­test­be­we­gung tum­melt, prä­sen­tiert sich anders.  Selbst beim The­ma Tier­schutz arti­ku­lie­ren sich Men­schen, die eine offe­ne, meist unre­flek­tier­te Feind­schaft gegen Staat, Regie­rung, Poli­ti­ke­rIn­nen und Behör­den an den Tag legen.  Abwä­gun­gen wer­den nicht zugelassen.

Da wächst ein Mob.  Irgend­wie habe ich das Gefühl, dass selbst beim Tier­schutz Men­schen auf­tau­chen, die einer Gesin­nung à la AfD Aus­druck ver­lei­hen.  Es ist eine Melan­ge aus radi­ka­len Tier­schüt­zern (die teils durch­aus Sym­pa­thie in mir wecken kön­nen) und Vega­nern — den Pfef­fer oben drauf lie­fern ver­mut­lich Wutbürger.

Man selbst ist dabei natür­lich ledig­lich Opfer.  Schuld sind die ande­ren — und vor allem der „Ver­bre­cher­staat“.  Sich gegen die­se Extre­mis­ten zu wen­den, führt zu den erwar­te­ten Ergeb­nis­sen:  Dif­fa­mie­rung und Belei­di­gung sind nicht unge­wöhn­lich — selbst wenn ich dar­auf hin­wei­se, die Peti­ti­on zu unter­stüt­zen.  Inso­fern ist es doch ein wenig wie bei Occupy.

Ich habe in einem Kom­men­tar auf der Peti­ti­ons­sei­te einen (fla­chen) Bogen gespannt vom Schwei­ne­hoch­haus zur Lebens­mit­tel­spe­ku­la­ti­on und mei­ne, dass das hier her passt:

Andrea H. schrieb:
„Mir ist ohne­hin schlei­er­haft, wie der­lei Zustän­de legal sein kön­nen. Aber Dank nicht ermü­den­der Lob­by­ar­beit der Fleisch­in­dus­trie schau­en die Poli­ti­ker wie immer weg. Chapeau!“

Mei­ne Ant­wort lautete:

Nun, wir haben es dazu kom­men las­sen, Andrea.  Und ich mei­ne tat­säch­lich „wir“.

Der kri­tik­lo­se Ver­zehr von bil­li­gem Fleisch, die soge­nann­te „Dere­gu­lie­rung der Märk­te“, Wohl­stand in unse­rem Land auf­grund mas­si­ver Expor­te — all das haben wir jahr­zehn­te­lang für gut befun­den, denn es hat uns ver­meint­lich (!) genutzt.

Dabei haben wir auf Kos­ten von Umwelt und Tie­ren (und wohl auch unse­rer Gesund­heit) gelebt, dem Kapi­ta­lis­mus und dem „Markt“ gehul­digt sowie auf Teu­fel komm raus pro­du­ziert, um ande­re mit unse­ren Erzeug­nis­sen zu beglücken.

Schaue ich mir die Mit­tei­lun­gen aus der Schwei­ne­bran­che an (einen Aus­zug der Posi­tio­nen fin­det man auf schweine.net, weit übler liest es sich im inter­nen Mit­tei­lungs­blatt), dann ist der aktu­el­le Export­boom von Schwei­ne­fleisch nach Chi­na ein Segen für die Bran­che.  Im Vor­der­grund steht dabei stets der „Land­wirt“.  Sein Wohl und Wehe ist wich­tig, weni­ger das des Tiers.  Die Angst geht bei den Pro­du­zen­ten um, weil Betrie­be schlies­sen könn­ten.  Ich mei­ne:  Sol­len Sie schlies­sen!  Es wäre ein Segen.

Unse­re Nah­rungs­mit­tel wer­den von einer Indus­trie pro­du­ziert, zum Nut­zen der Indus­trie und der Share­hol­der.  Es wird auf Nah­rungs­mit­tel­prei­se an den Bör­sen gewet­tet.  Die Geld­welt reibt sich die Hän­de.  Umsatz und Gewinn ste­hen im Vor­der­grund.  Umwelt, Tie­re und Ver­brau­che­rIn­nen sind nebensächlich.

Das alles haben wir ermög­licht, weil wir bil­li­ges Essen und der Pri­vat­wirt­schaft kei­ne Hin­der­nis­se in den Weg stel­len woll­ten.  Die Fol­gen der Libe­ra­li­sie­rung der Märk­te sehen wir heu­te:  Schwei­ne­fleisch wird in einem Hoch­haus pro­du­ziert — und mög­li­cher­wei­se sogar legal.

Tja, und nun kla­gen wir über den bösen Staat, der das alles zulässt?  Was wol­len wir eigent­lich:  Die­sen Staat in sei­ne Gren­zen wei­sen (also weni­ger Staat) oder ein stär­ke­res staat­li­ches Ein­grei­fen (also mehr Staat)?

Ver­ges­sen wir bei allem nicht, dass die Libe­ra­li­sie­rung in den acht­zi­ger Jah­ren begann — und die­se Par­tei­en und Poli­ti­ker immer wie­der gewählt wur­den.  Von uns!

-Frank Jer­mann

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