Verwässert

von | 16. Mai 2018

Es ist auch Jah­re spä­ter kei­ne Freu­de, mal wie­der hin­zu­schau­en. Und es ist ein ver­damm­ter Mist, wenn man als Schwarz­se­her (oder bes­ser: Rea­list?) Recht hat in so einer Sache, die täg­lich Men­schen­le­ben kostet.

Antrag der Grünen im BundestagWas ist mitt­ler­wei­le gesche­hen? Nun, die Bun­des­tags­frak­ti­on der Grü­nen hat Anfang 2017 mal wie­der einen Antrag an den Bun­des­tag for­mu­liert, des­sen Titel „Nah­rungs­mit­tel­spe­ku­la­ti­on stop­pen“ ahnen lässt, dass sich nichts zum Bes­se­ren gewen­det hat.

Ein­fachs­te Goog­le-Suchen brin­gen jede Men­ge Berich­te über unter­ernähr­te oder gar ver­hun­gern­de Kin­der zu Tage.  Man könn­te mei­nen, das unse­re Gesell­schaft nichts gelernt hat — und man liegt damit rich­tig. Immer noch sind Nah­rungs­mit­tel, die grund­sätz­lich in aus­rei­chen­der Men­ge auf unse­rem Pla­ne­ten vor­han­den sind, für vie­le Men­schen zu teuer.

Die Grü­nen beschrei­ben die Lage in ihrem Antrag so:

Spe­ku­la­tio­nen tra­gen […] zu Hun­ger und Leid bei. Noch immer hun­gern laut FAO welt­weit 795 Mil­lio­nen Men­schen, die meis­ten davon in Süd­asi­en und Sub­sa­ha­ra Afri­ka. Das Wet­ten auf Nah­rungs­mit­tel ist ethisch höchst problematisch.

Bundesregierung: Menschenverachtende Position

Im Mit­tel­punkt des erwähn­ten Antrags der Grü­nen steht eine euro­päi­sche Richt­li­nie, die der Spe­ku­la­ti­on einen wir­kungs­vol­len Rie­gel vor­schie­ben soll. MiFID II heisst sie und soll­te zum Zeit­punkt des Antrags der Grü­nen vom Bun­des­tag geprüft werden.

Damals, im Febru­ar 2017, wäre laut den Grü­nen noch genü­gend Zeit gewe­sen, bis zum Inkraft­tre­ten von MiFID II nach­zu­bes­sern. Wie die Grü­nen aber aus­füh­ren, hat die gros­se Koali­ti­on den Antrag in die Aus­schüs­se ver­wie­sen und so die Wider­spruchs­frist gegen die Richt­li­nie MiFID II ver­strei­chen lassen.

Das über­rascht nicht, denn in Sachen Nah­rungs­mit­tel­spe­ku­la­ti­on hat die Bun­des­re­gie­rung bereits 2012 deut­lich gezeigt, dass sie nichts gegen die Spe­ku­lan­ten unter­neh­men und nichts für die Armen und Hun­gern­den tun wür­de. Ob angeb­lich christ­li­che oder ver­meint­lich sozia­le Par­tei­en — die men­schen­ver­ach­ten­de Hal­tung unse­rer Regie­rung ging durch bei­de Lager. Das hat sich bis heu­te nicht geändert.

Was bedeutet MiFID II heute?

Die­se euro­päi­sche Lösung MiFID II wird von der enga­gier­ten und ehren­wer­ten Orga­ni­sa­ti­on Weed nicht mal im Ansatz posi­tiv bewer­tet. Das Fazit liest sich ernüch­ternd (sie­he Kasten).

Wer sich die Lek­tü­re des Papiers von Weed aus dem Janu­ar 2017 nicht antun mag, fin­det in die­sem Zitat von der Weed-Web­sei­te eine knap­pe Zusammenfassung:

Die neu­en Regeln für Nah­rungs­mit­tel­spe­ku­la­ti­on wur­den in der end­gül­ti­gen Umset­zung verwässert.

Man muss tat­säch­lich gar nicht wei­ter in die Details ein­tau­chen.  Wer sich das Desas­ter kurz gefasst antun möch­te, der kann bei food­watch nach­le­sen (Bericht vom 3.1.2018).  Auch hier wird eine deut­li­che Spra­che bemüht:

Die Regie­run­gen haben ihr Ver­spre­chen, die Finanz­märk­te effek­tiv zu regu­lie­ren, gebrochen.

Verplemperte Jahre und keine Besserung

Die euro­päi­sche Lösung MiFID II ist geschei­tert. Und dafür hat man mehr als sechs Jah­re benö­tigt. Wir von Occupy:Occupy ver­folg­ten immer den Ansatz, die Spe­ku­la­ti­on auf kur­zen Weg in unse­rem Land zu ver­bie­ten und nicht auf eine euro­päi­sche Lösung zu warten.

Wir von Occupy:Occupy mein­ten stets, dass es eine gute Idee wäre, ein­fach mal bei uns anzu­fan­gen. Wenn es denn ein­mal eine euro­päi­sche Lösung geben soll­te — pri­ma! Aber bis dahin, so dach­ten wir, könn­te die Bun­des­re­pu­blik als Vor­rei­ter ein gutes und star­kes Zei­chen setzen.

Die Mehr­heit der Orga­ni­sa­tio­nen, die sich seit 2011 gegen die­se Spe­ku­la­tio­nen ein­ge­setzt haben, favo­ri­sier­ten die euro­päi­sche Lösung als ein­zi­gen gang­ba­ren Weg. Food­watch, Attac, Cam­pact, Weed, Mise­re­or, Süd­wind und ande­re gehör­ten dazu. Das Ergeb­nis die­ser Fehl­ein­schät­zung sehen wir heu­te. Food­watch stellt im Janu­ar 2018 fest:

Die Lob­by der Ban­ken und Nah­rungs­mit­tel­kon­zer­ne hat erfolg­reich hin­ter den Kulis­sen agiert.

Der Hin­weis ist ohne Zwei­fel rich­tig. Was aller­dings fehlt, ist food­watchs Hin­weis auf das eige­nen Behar­ren auf eine euro­päi­sche Lösung, anstatt eine kon­kre­te Umset­zung im eige­nen Land zu for­dern. Ich erin­ne­re mich an diver­se Tele­fo­na­te — und nicht nur mit food­watch! — in denen unse­ren Bemü­hun­gen für einen natio­na­len Allein­gang eine kla­re Absa­ge erteilt wurde.

Wir nehmen es hin

Das Ergeb­nis all der Bemü­hun­gen sieht nach vie­len Jah­ren so aus:

  • Die Spe­ku­la­tio­nen wur­den bis heu­te nicht wirk­sam bekämpft.
  • Die Pro­tes­te gegen Nah­rungs­mit­tel­spe­ku­la­ti­on sind mitt­ler­wei­le weit­ge­hend aus der Öffent­lich­keit verschwunden.
  • Die Chan­ce der Zeit um 2012/2013 wur­de vertan.

Wer damals mein­te, dass eine erstar­ken­de gesell­schaft­li­che Bewe­gung der Spe­ku­la­ti­on mit Nah­rungs­mit­teln ein Ende hät­te set­zen kön­nen, der oder die sieht sich heu­te getäuscht. Die­se Bewe­gung ver­ebb­te und alles geht seit Jah­ren wei­ter wie immer — im Sin­ne der Spe­ku­lan­ten und sel­ten im Lich­te der Öffentlichkeit.

Auch Occupy hat versagt

Die deut­sche Occu­py-Bewe­gung hät­te damals — also um das Jahr 2012 — das Poten­ti­al gehabt, Druck aus­zu­üben. Occu­py war auf den Stras­sen, die Unter­stüt­zung aus der Bevöl­ke­rung war enorm. Die Medi­en waren prä­sent und begie­rig. Statt eines gesell­schaft­li­chen Auf­bruchs, der einen brei­ten Kon­sens gegen Ban­ken und Finanz­märk­te the­ma­ti­sier­te, erleb­ten wir aller­dings ein erbärm­li­ches Schei­tern der Bewegung.

Schlim­mer noch: Die Unzu­frie­den­heit grös­se­rer Tei­le der Bevöl­ke­rung, die mit einem wich­ti­gen gesell­schaft­li­chen The­ma hät­te kana­li­siert wer­den kön­nen, wur­de sich selbst über­las­sen. Die Fol­gen sehen wir heute.

Ob die Frem­den­feind­lich­keit, ob der Rechts­ruck, wie wir ihn in den letz­ten Jah­ren durch Pegi­da und die AfD erle­ben muss­ten, in unse­rem Land so statt­ge­fun­den hät­te, wenn wir einen bür­ger­li­chen Auf­bruch gegen Spe­ku­lan­ten erlebt hät­ten? Ob die Flucht­ur­sa­chen Armut und Hun­ger  genau­so mäch­tig gewe­sen wären, wenn wir der Spe­ku­la­ti­on gemein­sam, ernst­haft und prag­ma­tisch die Stirn gebo­ten hätten?

Nun, es ist müs­sig, jetzt unse­rer­seits  zu spe­ku­lie­ren. Fakt ist, dass wir es nicht geschafft haben. Und es sieht so aus, als wenn die Spe­ku­lan­ten, unter­stützt von einer wil­li­gen Bun­des­re­gie­rung, wei­ter machen kön­nen und werden.

Die „Akti­vis­ten“ der dama­li­gen Occu­py-Bewe­gung hocken der­weil in irgend­ei­nem Unter­grund und kas­pern genau­so her­um, wie sie es damals im Frank­fur­ter Camp getan haben. Die Reak­tio­nen auf unse­rer Occupy:Occupy-Seite bei Face­book auf den dort bis­her letz­ten Bei­trag aus dem August 2017 zeich­nen ein deut­li­ches Bild des Schei­terns der Occu­py-Bewe­gung in Deutsch­land — wenn ich das freund­lich formuliere.

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