Empörung allerseits?

von | 27. März 2012

Dirk Müller (Mr. Dax)Irgend­wie war der Tag vol­ler Empö­rung.  Dirk Mül­ler fing früh damit an.  In sei­nem Tages­aus­blick schwoll ihm nach eige­nem Bekun­den die Hals­schlag­ader.  Er bezich­tig­te die Bun­des­re­gie­rung empört der Lüge wegen der erwei­ter­ten Haf­tung der Bun­des­re­pu­blik in Sachen Ret­tungs­schirm.  „Es sind Lügen, es wird nur noch gemo­gelt, man kann sich auf nie­man­den mehr ver­las­sen — und das ist es, was die Leu­te so stin­kig macht“, pol­ter­te Mr. Dax in die Kame­ra.

Dirk Mül­ler ist einer der pro­mi­nen­ten Unter­stüt­zer der Peti­ti­on gegen Spe­ku­la­ti­on mit Nah­rungs­mit­teln — nicht zuletzt er hat in jah­re­lan­ger Arbeit dafür gesorgt, dass das The­ma bei uns ange­kom­men ist.  Doch: Ist es tat­säch­lich bei uns ange­kom­men?  Erfah­run­gen beim Sam­meln von Unter­schrif­ten las­sen ab und zu etwas ande­res vermuten.

Nun, es ist wie so oft:  Eigent­lich soll­te sich nie­mand der Empö­rung über die­sen Miss­stand ent­zie­hen kön­nen, wenn man begrif­fen hat, was da unter unse­ren Augen vor sich geht.  Und die Chan­ce dazu hat­te jeder, denn seit Jah­ren weist eben auch Dirk Mül­ler dar­auf hin.

In einem Bei­trag des ZDF Heu­te Jour­nals vom 5. April 2011 — also vor knapp einem Jahr — beschrieb Mül­ler die Situa­ti­on der rapi­de stei­gen­den Nah­rungs­mit­tel­prei­se und mein­te: „Die­se extre­men Sprün­ge, die wir jetzt sehen, sind ein­deu­tig der Spe­ku­la­ti­on zuzu­ord­nen. […] Es wird höchs­te Zeit, dass etwas unter­nom­men wird.“  Offen­sicht­lich hat man ihn in Ber­lin nicht gehört.

Eine Erklä­rung, war­um unse­re Regie­rung Hun­ger und Tod vie­ler Men­schen in den armen Län­dern der Erde bil­li­gend in Kauf nimmt, lie­fert im sel­ben ZDF-Bei­trag der Roh­stoff­ex­per­te Thors­ten Schul­te: „Ich hiel­te es durch­aus für wün­schens­wert, dass man Pri­vat­an­le­gern unter­sagt, in Roh­stof­fe zu inves­tie­ren, aber ich befürch­te, dass die Poli­tik sich dazu nicht durch­rin­gen kann, weil es wich­ti­ge Inter­es­sen in der Finanz­welt gibt, denn die Finanz­welt, die Ban­ken ver­die­nen ja an der Spe­ku­la­ti­on.“  Sei­ne Befürch­tung vom Mai 2010 war zutref­fend, wie wir heu­te sehen.Irgend­wie empört zeig­te sich heu­te auch der Men­schen­rechts­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung, Mar­kus Löning (FDP): „Ich bin äußerst scho­ckiert über die von Amnes­ty Inter­na­tio­nal ver­öf­fent­lich­ten Zah­len, nach denen 2011 wesent­lich mehr Men­schen hin­ge­rich­tet wur­den als im Vor­jahr.“  Min­des­tens 676 Men­schen sind im letz­ten Jahr auf die­ser Erde hin­ge­rich­tet wor­den.  Das sind schreck­li­che Fakten.

Der Hin­weis auf die­se Toten durch den Men­schen­rechts­be­auf­trag­ten wird kaum dazu füh­ren, dass man der Regie­rung empört vor­wirft, dass sie nichts dage­gen unter­nimmt.  Was soll sie denn tun, bei all den betei­lig­ten Schur­ken­staa­ten?  Die­se Mel­dung wird fol­gen­los blei­ben für den Über­brin­ger der schlech­ten Nachricht.

Was wäre aber, wenn Herr Löning oder jemand ande­res aus der Bun­des­re­gie­rung geschockt wäre ob der Hun­gern­den und Toten, die die Spe­ku­la­ti­on mit Nah­rungs­mit­teln bedingt?  Rein theo­re­tisch, mei­ne ich.  Falls sich jemand trau­te, das anzu­spre­chen.  Nur mal so als Denk­mo­dell.  Wäre in die­sem Fall nicht zumin­dest eine vor­sich­ti­ge Nach­fra­ge aus der Bevöl­ke­rung zu erwar­ten, war­um man das denn bereits so lan­ge hin­ge­nom­men hat?  Schliess­lich ist Dirk Mül­ler kein Unbe­kann­ter in Ber­lin, sei­ne Ein­schät­zung kennt man auch dort.

Nun, ich ahne, war­um sich die Poli­tik bis heu­te so bedeckt hält, anstatt empört dem Trei­ben der Finanz­märk­te ein Ende zu set­zen.  Nach so lan­ger Untä­tig­keit könn­te die Empö­rung auf sie zurück fal­len.  Da schweigt man bes­ser still.Ich will mich nicht aus­neh­men aus der Lis­te der heu­te Empör­ten — und ich habe allen Grund! Anlass sind die Anfra­gen bei Par­tei­en und Poli­ti­kern zu unse­rem Anlie­gen.  Durch die Bank glänzt kei­ne Par­tei:  Seit zwei Wochen hat es kei­ne der eta­blier­ten geschafft, eine Ant­wort zu formulieren.

Antwortschreiben der CDUAber halt, was war das?  Da kam heu­te ein Ant­wort­schrei­ben der Bun­des­ge­schäfts­stel­le der CDU bei mir an.  Ich war gespannt.  Die Span­nung fiel nach weni­gen Zei­len rapi­de.  Stil und Inhalts­lo­sig­keit erin­ner­ten mich an Auf­trit­te von Poli­ti­kern in abend­li­chem Talk Shows.  Ver­zei­hen Sie mir, lie­be Lese­rin­nen und Leser, wenn ich die Ant­wort der CDU als sinn­frei­es Geschwa­fel einordne?

Für wie blöd hält man den Sou­ve­rän, wenn man meint, ihm unbe­merkt eine sol­che Vali­um-Ant­wort unter­schie­ben zu kön­nen?  Hat Gabrie­le Hopp nicht ver­stan­den, dass es um Hun­ger und Tod geht?  Meint sie wirk­lich, dass das „prä­gnan­te Zitat des CDU-Bun­des­fi­nanz­mi­nis­ters Dr. Wolf­gang Schäub­le MdB“ hier anders als pein­lich wir­ken kann?

Wir müs­sen die Mani­pu­la­ti­ons­ri­si­ken auf die­sen Märk­ten ver­rin­gern. Wenn wir dem Trei­ben taten­los zuse­hen, haben wir aus der Finanz­kri­se nichts gelernt.

Mani­pu­la­ti­ons­ri­si­ken ver­rin­gern?  Frau Hopp, es geht hier dar­um, einen Ver­stoss gegen Men­schen­rech­te zu bekämp­fen, nicht um Mani­pu­la­ti­ons­ri­si­ken!  Arti­kel 2 unse­res Grund­ge­set­zes formuliert:

Das Deut­sche Volk bekennt sich dar­um zu unver­letz­li­chen und unver­äu­ßer­li­chen Men­schen­rech­ten als Grund­la­ge jeder mensch­li­chen Gemein­schaft, des Frie­dens und der Gerech­tig­keit in der Welt.

„Gerech­tig­keit in der Welt“, so steht es da.  Ich weiss ja nicht, wie Sie das sehen, Frau Hopp, aber ich hal­te es für zwei­fel­haft, ob es gerecht ist, dass Spe­ku­lan­ten ihr Kapi­tal ver­meh­ren, wenn dafür ande­re Men­schen verhungern.

Dan­ke also für die deut­li­che Posi­tio­nie­rung der Bun­des-CDU, dan­ke für die­ses prä­gnan­te Zitat Ihres Herrn Schäub­le.  Das hilft eben­so wie der Rest ihrer ver­wal­tungs­tech­nisch gefass­ten Ant­wort.  Es hilft ins­be­son­de­re fest­zu­stel­len, dass mein Ein­druck nicht ganz falsch war:  Die­se Bun­des­re­gie­rung igno­riert das The­ma weit­ge­hend.  Sie sieht dem Trei­ben taten­los zu.

Und dazu zitie­re ich jetzt mal den Herrn Schäub­le in sei­ner gan­zen Prägnanz:

Wenn wir dem Trei­ben taten­los zuse­hen, haben wir aus der Finanz­kri­se nichts gelernt.

Wenn man es so sieht, hat er end­lich mal Recht.

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