Irgendwie war der Tag voller Empörung. Dirk Müller fing früh damit an. In seinem Tagesausblick schwoll ihm nach eigenem Bekunden die Halsschlagader. Er bezichtigte die Bundesregierung empört der Lüge wegen der erweiterten Haftung der Bundesrepublik in Sachen Rettungsschirm. „Es sind Lügen, es wird nur noch gemogelt, man kann sich auf niemanden mehr verlassen — und das ist es, was die Leute so stinkig macht“, polterte Mr. Dax in die Kamera.
Dirk Müller ist einer der prominenten Unterstützer der Petition gegen Spekulation mit Nahrungsmitteln — nicht zuletzt er hat in jahrelanger Arbeit dafür gesorgt, dass das Thema bei uns angekommen ist. Doch: Ist es tatsächlich bei uns angekommen? Erfahrungen beim Sammeln von Unterschriften lassen ab und zu etwas anderes vermuten.
Nun, es ist wie so oft: Eigentlich sollte sich niemand der Empörung über diesen Missstand entziehen können, wenn man begriffen hat, was da unter unseren Augen vor sich geht. Und die Chance dazu hatte jeder, denn seit Jahren weist eben auch Dirk Müller darauf hin.
In einem Beitrag des ZDF Heute Journals vom 5. April 2011 — also vor knapp einem Jahr — beschrieb Müller die Situation der rapide steigenden Nahrungsmittelpreise und meinte: „Diese extremen Sprünge, die wir jetzt sehen, sind eindeutig der Spekulation zuzuordnen. […] Es wird höchste Zeit, dass etwas unternommen wird.“ Offensichtlich hat man ihn in Berlin nicht gehört.
Eine Erklärung, warum unsere Regierung Hunger und Tod vieler Menschen in den armen Ländern der Erde billigend in Kauf nimmt, liefert im selben ZDF-Beitrag der Rohstoffexperte Thorsten Schulte: „Ich hielte es durchaus für wünschenswert, dass man Privatanlegern untersagt, in Rohstoffe zu investieren, aber ich befürchte, dass die Politik sich dazu nicht durchringen kann, weil es wichtige Interessen in der Finanzwelt gibt, denn die Finanzwelt, die Banken verdienen ja an der Spekulation.“ Seine Befürchtung vom Mai 2010 war zutreffend, wie wir heute sehen.Irgendwie empört zeigte sich heute auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP): „Ich bin äußerst schockiert über die von Amnesty International veröffentlichten Zahlen, nach denen 2011 wesentlich mehr Menschen hingerichtet wurden als im Vorjahr.“ Mindestens 676 Menschen sind im letzten Jahr auf dieser Erde hingerichtet worden. Das sind schreckliche Fakten.
Der Hinweis auf diese Toten durch den Menschenrechtsbeauftragten wird kaum dazu führen, dass man der Regierung empört vorwirft, dass sie nichts dagegen unternimmt. Was soll sie denn tun, bei all den beteiligten Schurkenstaaten? Diese Meldung wird folgenlos bleiben für den Überbringer der schlechten Nachricht.
Was wäre aber, wenn Herr Löning oder jemand anderes aus der Bundesregierung geschockt wäre ob der Hungernden und Toten, die die Spekulation mit Nahrungsmitteln bedingt? Rein theoretisch, meine ich. Falls sich jemand traute, das anzusprechen. Nur mal so als Denkmodell. Wäre in diesem Fall nicht zumindest eine vorsichtige Nachfrage aus der Bevölkerung zu erwarten, warum man das denn bereits so lange hingenommen hat? Schliesslich ist Dirk Müller kein Unbekannter in Berlin, seine Einschätzung kennt man auch dort.
Nun, ich ahne, warum sich die Politik bis heute so bedeckt hält, anstatt empört dem Treiben der Finanzmärkte ein Ende zu setzen. Nach so langer Untätigkeit könnte die Empörung auf sie zurück fallen. Da schweigt man besser still.Ich will mich nicht ausnehmen aus der Liste der heute Empörten — und ich habe allen Grund! Anlass sind die Anfragen bei Parteien und Politikern zu unserem Anliegen. Durch die Bank glänzt keine Partei: Seit zwei Wochen hat es keine der etablierten geschafft, eine Antwort zu formulieren.
Aber halt, was war das? Da kam heute ein Antwortschreiben der Bundesgeschäftsstelle der CDU bei mir an. Ich war gespannt. Die Spannung fiel nach wenigen Zeilen rapide. Stil und Inhaltslosigkeit erinnerten mich an Auftritte von Politikern in abendlichem Talk Shows. Verzeihen Sie mir, liebe Leserinnen und Leser, wenn ich die Antwort der CDU als sinnfreies Geschwafel einordne?
Für wie blöd hält man den Souverän, wenn man meint, ihm unbemerkt eine solche Valium-Antwort unterschieben zu können? Hat Gabriele Hopp nicht verstanden, dass es um Hunger und Tod geht? Meint sie wirklich, dass das „prägnante Zitat des CDU-Bundesfinanzministers Dr. Wolfgang Schäuble MdB“ hier anders als peinlich wirken kann?
Wir müssen die Manipulationsrisiken auf diesen Märkten verringern. Wenn wir dem Treiben tatenlos zusehen, haben wir aus der Finanzkrise nichts gelernt.
Manipulationsrisiken verringern? Frau Hopp, es geht hier darum, einen Verstoss gegen Menschenrechte zu bekämpfen, nicht um Manipulationsrisiken! Artikel 2 unseres Grundgesetzes formuliert:
Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
„Gerechtigkeit in der Welt“, so steht es da. Ich weiss ja nicht, wie Sie das sehen, Frau Hopp, aber ich halte es für zweifelhaft, ob es gerecht ist, dass Spekulanten ihr Kapital vermehren, wenn dafür andere Menschen verhungern.
Danke also für die deutliche Positionierung der Bundes-CDU, danke für dieses prägnante Zitat Ihres Herrn Schäuble. Das hilft ebenso wie der Rest ihrer verwaltungstechnisch gefassten Antwort. Es hilft insbesondere festzustellen, dass mein Eindruck nicht ganz falsch war: Diese Bundesregierung ignoriert das Thema weitgehend. Sie sieht dem Treiben tatenlos zu.
Und dazu zitiere ich jetzt mal den Herrn Schäuble in seiner ganzen Prägnanz:
Wenn wir dem Treiben tatenlos zusehen, haben wir aus der Finanzkrise nichts gelernt.
Wenn man es so sieht, hat er endlich mal Recht.