Frank Jermann, 12. April 2012
Es war nicht die erste Anfrage dieser Art, die mich heute morgen erreichte:
Hallo, ich und Freunde sind dabei durch Abrisszettel die Unterschriftenaktion weiterzuverbreiten. Ich habe gelesen, dass durch attac, oxfam misereor etc. auch Unterschriftenaktionen am Laufen sind… meine Frage ist ob es nicht um einiges effektiver wäre wenn die Organisationen sich in diesem Punkt
zusammenschließen, sodass die Aktionen nicht unabhängig voneinander laufen?
Meine Antwort lautet: Ja, es wäre. Trotz frühzeitiger Anfragen unsererseits kam es allerdings zu keiner Kooperation. Zwar erhielten wir Antworten von Campact, Oxfam und der Welthungerhilfe, diese waren allerdings negativ. Misereor und attac haben nicht reagiert. Mit Weed stehen wir erst seit kurzem in Kontakt. Südwind war uns nicht bekannt. Von Gesprächen im Hintergrund zwischen Oxfam und attac über eine mögliche Kooperation mit uns haben wir erfahren.
Es wäre genügend Gelegenheit gewesen, ein gemeinsames Vorgehen zu planen. Aus allen Telefonaten und eMails wurde aber letztlich deutlich: Man ist an einer Zusammenarbeit aufgrund der „eigenen“ Initiative der Nichtregierungsorganisationen (NRO) nicht interessiert. Occupy:Occupy bedauert das ausdrücklich.
In unserer gestrigen Pressemitteilung haben wir hierzu ausführlich Stellung bezogen.
Mario aus Würzburg, einer unserer aktivsten Botschafter, kommentierte gestern im Aktivitäten-Thread wie folgt:
Ich fühle mich gerade wie eine Maus, die versucht, eine Tür einzutreten, während sie von sieben Elefanten überholt wird.
Der Frust ist hier nicht nur zwischen den Zeilen zu lesen. Unsere Position ist: Wir begrüssen jede Initiative, die etwas gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln ausrichten will. Jedoch hätte ich mir nicht nur eine Zusammenarbeit gewünscht, sondern auch, dass die „sieben Elefanten“ ihr Anliegen sauberer positioniert hätten — schliesslich sind sie die Profis in diesem Geschäft.
Petition oder nicht?
Zum einen ist es zweifelhaft, ob es sich um eine „Petition“ in engeren Sinne handelt. Das Petitionsrecht ist in Deutschland im Grundgesetz (Artikel 17) verankert. Danach kann man sich „mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung … wenden“.
Nun wendet sich die Allianz der Sieben mit ihrer Bitte an Herrn Schäuble in seiner Funktion als Bundesfinanzminister. Ist der Bundesfinanzminister die „zuständige Stelle“? Sicher wird der Minister die europäischen Verhandlungen zu dem Thema in Brüssel führen. Ob er aber die zuständige Stelle ist und sich gegen die Überzeugung unserer Regierung und des Parlaments durchsetzen kann, darf bezweifelt werden: Europäisches Recht (so es denn jemals oder in absehbarer Zeit zu einer EU-Regelung kommen wird) dürfte in dieser Sache vom Deutschen Bundestag umgesetzt werden müssen. Unser momentanes Recht widerspricht dieser angestrebten europäischen Regelung und ohne unsere Volksvertretung dürfte dies nur schwer im Konsens zu ändern sein. Ich sehe also Herrn Schäuble nicht als entscheidend an in dieser Sache. Wichtig: ja, aber entscheidend?
Ob es sich nun tatsächlich um eine „Petition“ im engeren Sinne handelt, ist möglicherweise nebensächlich — geht es doch um die Sache. Und auch in der Koalition der sieben NRO selbst ist man sich nicht so ganz einig, was da geboren wurde:
Oxfam betitelt die Initiative als „Petition“, jedoch steht man damit alleine da. Mal wird das gemeinsame Anliegen als „Appell“ bezeichnet (attac, Misereor), mal als „Unterschriftensammlung“ (Weed), dann wieder als „Protestaktion“ (attac, Misereor, Welthungerhilfe, Südwind). Campact hat Stand heute, 12:00 Uhr noch nicht einmal einen Hinweis auf den Webseiten.
Das ist nicht weiter tragisch, denn es kommt ja auf den Willen an. Dass aber aus trotz vorheriger Planung zwischen professionellen Organisationen keine gemeinsame Sprache gefunden wurde, verwundert schon.
Europäisch oder nicht?
Auch die Positionierung des Anliegens auf europäischer Ebene wird nicht einheitlich angegangen: Der Forderungstext selber enthält keinen Hinweis darauf, lediglich die völlig unterschiedlichen Begleittexte der NRO weisen darauf hin. Warum Oxfam den europäischen Ansatz auf seiner aktuellen Webseite überhaupt nicht erwähnt, ist noch verwirrender. Ich halte es zumindest im Sinne von Wahrheit und Klarheit für nicht hilfreich, wie mit diesem wichtigen Punkt umgegangen wurde.
Helfen verschiedene Texte?
Ebenfalls verwirrend ist es, wenn eine Allianz aus sieben professionellen NRO teilweise verschiedene Forderungstexte veröffentlicht (attac) und ein zusätzliches Anschreiben an Bundesfinanzminister Schäuble unterschiedlich formuliert oder ganz weggelassen wurde.
Wenn dann noch der Forderungstext auf dem gemeinsam erstellten Sammelbogen für Unterschriften auf Papier vom Online-Forderungstext sehr erkennbar abweicht (attac), dann kann man nur darauf hoffen, dass potentielle Unterstützer nicht über diese Ungereimtheiten stolpern — und trotzdem irgendwas aus dem Angebot unterzeichnen.
Warum nicht einfacher?
Kaum nachzuvollziehen sind auch die allzu „technischen“ Formulierungen (attac). Occupy:Occupy hat lange und intensiv um eine halbwegs verständliche Formulierung gerungen. Uns eine kurze, aber nachvollziehbare Begründung wichtig, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Erfahrungen in Gesprächen im ganzen Land haben gezeigt, dass das Anliegen in einer verständlichen Sprache gefasst sein muss.
Das ausdrückliche Lob von Dirk Müller, einem ausgewiesenen Börsenfachmann, zeigt, dass wir hier keine schlechte Arbeit geleistet haben. Gerne hätten wir die Allianz der NRO im Vorfeld ihrer Petition diesbezüglich beraten und unsere Erfahrungen mit ihnen geteilt.
Bedauerlicherweise sehen wir uns jetzt statt dessen in einer Situation, in der wir viel Zeit in Erklärungen über die verschiedenen Ansätze zum selben Thema investieren müssen. Viele engagierte Menschen verstehen nicht, warum hier offenbar verschiedene Interessen in den Vordergrund gestellt werden. Vorgespräche zwischen Occupy:Occupy und den NRO hätten hier helfen können.
Wir nehmen uns die Zeit, den Sachverhalt aufzuklären — hätten sie allerdings lieber in „echte“ Arbeit für die Sache gesteckt.